Mobility Report 2022: Öffentlicher Raum neu gedacht – für den Menschen.
25.04.2022 | Mobility
Urbane Lebensqualität und nachhaltige Mobilität sind zwei Seiten einer Medaille. Sie sind die vielleicht wichtigsten Standortfaktoren einer wissensbasierten Gesellschaft. Dafür braucht es aber ein neues Verständnis und eine neue Verteilung des öffentlichen Raumes. Eine Zusammenfassung des Mobility Reports 2022 als Gastbeitrag von Dr. Stefan Carsten.
Was ist „der öffentliche Raum“?
Parks und Grünanlagen. Natürlich. Fußgängerzonen, Bürgersteige. Selbstverständlich. Aber eben auch Straßen. Bis zu 60 Prozent des öffentlichen Raums werden von Autos genutzt, egal ob bewegt oder geparkt. Straßen sind die Repräsentanten einer industriellen Gesellschaft. Sie sind gebaut worden, um die Industrie mit Arbeitskräften und mit Rohstoffen zu versorgen. Vor 60 Jahren. Seitdem hat sich alles verändert, nur der Straßenraum nicht. Das Ende des Verbrennungsmotors und der Beginn der Elektromobilität (E-Volution) sind zugleich die finale Bestätigung einer wissensbasierten Gesellschaft, die nicht das Produktionsregime der industriellen Akteur*innen (qua Produkte und Logistik) in den Mittelpunkt rückt, sondern den Menschen (qua Mobilität und Dienste).
Städte und Plätze neu begreifen
Das bedeutet auch: Tankstellen, wie wir sie kennen, werden verschwinden (Energy Places). Stattdessen werden Mobilitätsstationen, Schnellladesäulen oder Kulturprojekte in diese Orte einziehen. Und wer sich nicht bewegt, wird vielleicht als Museumsdirektor der fossilen Welt enden. Stadtviertel werden sauberer und leiser, Geschwindigkeiten automatisch reguliert und kontrolliert und die Angebote der Mikromobilität werden nur in den Räumen genutzt, wo sie wirklich gebraucht werden (Neofencing).
Das Fahrrad für den Alltag
Gleichzeitig werden nahezu täglich neue Konzepte der Fahrradbranche im Alltag erprobt (Xycles). Individualität und Flexibilität stehen im Mittelpunkt. Im Kontext neuer städtischer Infrastrukturpraktiken werden sie zum Statussymbol auf der letzten Meile: nachhaltig, gesund und sicher. Und dank Elektromotor verbleibt die Pendlerstrecke nicht mehr länger nur dem Auto vorbehalten. Dafür werden überall neue Räume und neue Verbindungen für aktive Mobilität geschaffen. Und die zukünftigen Entwicklungen sind phänomenal: Für das Jahr 2030 rechnen die Expert*innen mit einem Absatz von rund 2 Millionen Cargo-Bikes in Europa.
Über Stadtgrenzen hinausdenken
Auch die untrennbare Symbiose von Mobilität und Immobilität schafft neue integrierte Räume (Frontdoor Mobility) – nicht nur in urbanen Kontexten und suburbanen Stadtteilen, sondern auch auf dem Land (Connecting the Countryside). Mehr als 80 Prozent aller Wege starten
und enden an der eigenen Haustür und dafür braucht es weit mehr als nur den Parkplatz vor der Tür. Immer mehr Akteure und Akteurinnen nehmen sich diesen Herausforderungen an und bieten flexible Mobilitätskonzepte in Räumen, die dafür im herkömmlichen Sinne nicht geeignet sind. Der ländliche Raum mobilisiert sich – endlich. On-Demand Ride-Pooling erweist sich als das Zaubermittel für einen modernen ÖPNV. Sowohl mit Fahrer*in als auch autonom.
Diversität als Voraussetzung
Der in den 1950er-Jahren entstandene „Gender Mobility Gap“ bestimmt noch immer die Mobilität von Männern und Frauen. Insbesondere in Städten bedeutet Mobilität auch im 21. Jahrhundert noch allzu oft: Mobilität von Männern und für Männer. Doch die Zeiten ändern sich: Frauen werden zunehmend zu Gestalterinnen einer ganzheitlichen Mobilität, die auf Inklusion, Nachhaltigkeit und einen echten öffentlichen Raum setzt, der nicht die Bedürfnisse der Hälfte der Bevölkerung außer Acht lässt. Diversität ist die Voraussetzung für die Entwicklung von zukunftsfähigen Produkten und Diensten, die echten Nutzen versprechen. Der Fokus auf weibliche Mobilitätsmuster macht deutlich, dass dieser Wandel vor allem für Sharing-Konzepte neue Ideen benötigt, um den Alltag hochmobiler Frauen zu erleichtern.
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Dr. Stefan Carsten ist Zukunfts- und Mobilitätsforscher mit Leib und Seele. Seit mehr als 20 Jahren setzt sich der Stadtgeograf mit der Zukunft der Mobilität auseinander. In seiner Tätigkeit als Zukunfts- und Mobilitätsforscher berät und unterstützt er Unternehmen, Institutionen und Organisationen – unter anderem als Mitglied des Expertenbeirats des Bundesverkehrsministeriums für Strategische Leitlinien für den ÖPNV.
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Der Mobility Report 2022 richtet sich an alle Menschen und Organisationen, die sich mit der Zukunft der Mobilität auseinandersetzen, und bietet wichtige Impulse und Handlungsempfehlungen für Vertreterinnen und Vertreter der Mobilitätsbranche.
Der Report beschäftigt sich vertiefend mit dem Branchen-Insight Automotive Reset sowie mit den Schwerpunktthemen E-Volution und Femobility. Untermauert werden die Analysen durch zahlreiche Best Practices sowie umfängliche Zahlen, Daten und Fakten. Die wichtigsten Trendprognosen zur Zukunft der Mobilität runden den Report ab.